Achtmal sicherer als ein Helm soll der FAHRRAD-AIRBAG aus Schweden sein. Warum tragen wir ihn dann nicht alle? Es gibt gute Gründe, die dafür sprechen, aber auch einige dagegen. Welche das sind und wie es sich anfühlt, wenn der Hövding 3 mit einem Knall über den Kopf schießt, erfahren Sie hier.
TEXT: INGO EFFING FOTOS: DANIEL STOCKHORST, INGO EFFING, HÖVDING SVERIGE AB
Manche Menschen mögen keinen Helm, weil er unbequem, zu warm, zu hässlich oder nicht mit der Frisur kompatibel ist.
Der Nutzen steht außer Frage. Für einige Helmmuffel könnte der Fahrrad-Airbag des schwedischen Herstellers Hövding eine Alternative sein. Er wird als Kragen um den Hals getragen. Aber auch er ist nicht frei von Nachteilen. Ausdrücklich empfohlen wird er nur für Fahrten in der Stadt und auf der Landstraße, bei eher ruppigen Mountainbike- oder Graveltouren kann der Hövding 3 nicht eingesetzt werden, da die Erschütterungen häufig zu Fehlauslösungen führen dürften.
Komfort und Kosten
Das System wiegt 800 Gramm, gut ein halbes Kilo mehr als ein Helm. Beim Sport würde das stören, in der Stadt liegt das Gewicht bei eher aufrechter Sitzposition auf den Schultern, daran gewöhnt man sich schnell.
Der Kragen sollte eng anliegen, mit dem Boa-Drehverschluss lässt sich die Weite stufenlos einstellen. Dann noch den Bezug als Abdeckung drüber, fertig. Aufsetzen und mit dem Reißverschluss vorne am Kragen schließen. Sobald man den Magnetknopf an der Vorderseite schließt, ist der Airbag scharf, mit einem Piepton signalisiert der Hövding seine Bereitschaft und eine grüne LED leuchtet auf.
Der Akku hält bis zu acht Stunden und muss regelmäßig über das mitgelieferte USB-C-Kabel aufgeladen werden.
Der Kragen ist nicht wirklich angenehm zu tragen, er kratzt zwar nicht, aber es ist schon ein großes Gerät, das da um den Hals hängt. Während der Fahrt ist das aber schnell vergessen, es stört nicht weiter und der Kopf ist frei. Im Winter mit Pullover und dicker Jacke sitzt der wetterfeste Kragen noch ein Stück höher, was die Bewegungsfreiheit etwas einschränkt, berichtet mir ein Freund, der seit Jahren mit dem Hövding durch die Stadt zur Arbeit pendelt, ansonsten aber von dem System überzeugt ist. Bisher hat der Airbag einmal ausgelöst, die Situation war etwas grenzwertig: Von einem rasenden Radfahrer bedrängt, sei er damals mit dem Rad seitlich aufs Knie gefallen. Auf Kulanzbasis habe er damals einen neuen bekommen, sich aber zunächst über die Kosten geärgert, denn der Hövding kann nicht wiederverwendet werden und kostet 349 Euro. In der Regel greift nach einem Unfall der Crash Replacement Service des Herstellers. Man schickt den Airbag ein und bekommt 100 Euro Rabatt auf einen neuen.
Technik und Test
Der Hersteller betont: Das System ist nur während der Fahrt zu aktivieren, denn der Algorithmus in der Steuereinheit auf dem Rücken ist mit den typischen Bewegungsmustern von Fahrradunfällen program- miert. Die Stufen zum Bäcker hochstolpern, könnte sonst mit einem teuren Knalleffekt vor der Theke enden. Um die Software mit Bewegungsdaten zu füttern, wurden laut Hersteller tausende Stürze und Unfälle mit Stuntfahrten und Crashtest-Dummies nachgestellt. Sensoren registrieren 200 Mal pro Sekunde die Positionsänderung. Erkennt das System einen Sturz, wird der Airbag in weniger als 0,1 Sekunden ausgelöst. Die Gasdruck-Kartusche schießt hinten aus der keilförmigen Einheit und baut schlagartig eine neun Zentimeter dicke Polsterung auf, die sich über den Kopf stülpt. Das geht so schnell, dass man es kaum bewusst wahrnimmt: Ein lautes „Peng“, der Airbag ist da. Beeindruckend, wie schnell und kraftvoll das System funktioniert.
Vielleicht hatte ich den Kragen zu eng eingestellt, jedenfalls hatte mich der Airbag direkt nach dem Überschlag ziemlich im Würgegriff, was zu minimaler Panik geführt hat. Darauf war ich nicht vorbereitet, aber das muss wohl so sein, ein Unfall ist eben keine Wohlfühlsituation und wäre ich tatsächlich über eine Motorhaube gestürzt oder dergleichen, hätte ich sicher andere Sorgen als die Kragenweite. Besser so, als wenn der Hövding mit dem Knall von der Schulter springt. Und das Ganze hat auch seinen Sinn: Der Nacken wird stabilisiert und die empfindliche Wirbelsäule geschützt. Weder Atemnot noch den Knall muss man fürchten, wenn man darauf gefasst ist.
Wie eine riesige Kapuze zieht sich der Airbag weit über den Kopf. Das Material, ein dichtes Nylongewebe, fühlt sich an wie eine etwas dünnere LKW-Plane. Das Gewebe ist verschweißt, vernäht und überlappt sich im vorderen Bereich. Wenn der Airbag auslöst, bietet er einen weitreichenden Rundumschutz, wenn er nicht auslöst, weil die typische Bewegung fehlt, schützt er nicht. Gegen direkte Schläge auf den Kopf, etwa durch tief hängende Äste oder Schilder, ist man nicht geschützt.
Die Verarbeitung ist rundum top und natürlich gibt es auch eine App zum Airbag, die Fahrstatistiken sammeln kann und im Notfall Kontakte mit Ortsangabe benachrichtigt.
Fazit
Der riesige, prall gefüllte Airbag-Helm schützt Kopf und Nacken umfassend. Die Geschwindigkeit und Wucht, mit der er aus dem Kragen schießt, ist beeindruckend. Die Leistung, die Verarbeitung und das Sicherheitsgefühl haben mich überzeugt, dass der Hövding 3 im Ernstfall besser schützen kann als ein Fahrradhelm. Für Pendler und Fahrer leichter Touren ist der Hövding 3 auf jeden Fall eine empfehlenswerte Helmalternative.
Hövding 3 – Airbag für Radfahrer:
- Preis: 349 Euro
- Gewicht: 800 g
- Größe: geeignet für einen Kopfumfang von 52–59 cm und einen Halsumfang von 34–45 cm
- Akkulaufzeit: bis zu acht Stunden (USB-C)