Im aktuellen Radtouren-Magazin bringen wir alle Infos zum Radreiseland Norwegen. Udo Henn war nicht nur dort unterwegs, sondern fuhr auch mit dem Rad dorthin. In weniger als zwei Monaten radelte er vom flachen Niederrhein mit dem Rad zu den Steilküsten Norwegens. Sein augenzwinkernder Reisebericht erzählt davon.
Plötzlich war die Luft weg. Ich stürzte mit meinem Trekkingrad und zog mir einen Lendenwirbelbruch zu. Die Rede ist hier nicht von der Atemnot, die mitunter bei falschem Ehrgeiz eines „Pedalritters“ auftreten kann. Vielmehr führte ein geplatzter Schlauch am Hinterreifen meines Trekkingrades und damit meine fehlende Kontrolle über mein Fahrrad zum Sturz mit Folgen. Das geschah im April 2010 am Möhnesee im Sauerland. Einmal wollte ich die schöne Region mit dem Rad erkunden, zum anderen eine ideale Trainingsroute von meiner Heimatstadt Mönchengladbach bis dort für meine geplante Foto-Fahrradtour (FFT) nach Norwegen nutzen. Nunmehr war mein Traum von meiner FFT ausgeträumt – zumindest zunächst.
Dank meines sehr hilfreichen Orthopäden konnte ich nach einigen Monaten schmerzhafter „Fahrradfahrenabstinenz“ am 20. 6. 2011 mit ungeduldiger Freude zu meiner geplanten Tour aufbrechen. Nicht nur ich fühlte mich dabei wie „runderneuert.“ Für die Norwegen-Tour wollte ich auch technisch, d. h. mit einem neuen Trekkingrad bestens gerüstet sein.Ich setzte mich mit Fallbrook Technologies International Co., dem Europamanager Jack Brandsen in Verbindung und informierte ihn über mein Radreisevorhaben und bekundete dabei mein Interesse an der NuVinci N360 Fahrradschaltung. Sie arbeitet stufenlos, lässt sich im Stand sowie am Berg unter Belastung schalten – also für mein Vorhaben die ideale Schalttechnik. Jack Brandsen sponserte mir die NuVinci N360 und der ungarische Fahrradhersteller Olimpia Bicycle Ltd. ein neues Gepida Alboin 700, in die das Unternehmen die Schaltung einbaute. Zusätzlich stattete die Firma das wunderschöne Fahrrad mit drei vorderen Kettenblättern aus. Mit dieser außergewöhnlich großen Schaltbreite, den ausgezeichneten Fahreigenschaften und der Zuverlässigkeit meines neuen Fahrrades (sie konnte ich nach meiner Rückkehr bestätigen) waren die Voraussetzungen für ein entspanntes Reisevergnügen erfüllt.
Norwegen stellt besondere Herausforderungen an Mensch und Material. Bereits auf der Hinfahrt mit dem Katamaran der Fjord Line bestimmte das raue Meer bei meiner Überfahrt zwischen Hirtshals (Dänemark) und Kristiansand (Norwegen) den Komfort der Schiffsreise. Gut dass mein Fahrrad an eine der Innenwände des flotten Katamaran mit einem Gurt festgezurrt war. Das Zweirad hätte sich ohne Sicherung selbständig gemacht und ohne mich die Reise nicht fortsetzen können. Ein paar Mitreisende an Deck des Schiffes kotzten. Das Personal kippte mit vollen Wassereimern das Gegessene über Bord. Der Katamaran fiel in das Tal der Wellen, schlug hart auf, und der Wellenreiter erbebte, und die Bestuhlung zitterte.
Das war der Beginn meines Abenteuers, das ich in Kristiansand glücklich „gelandet,“ durch Norwegen fortsetzte. Bereits die ersten zu fahrenden Kilometer begannen mit einer beachtlichen Steigung, an die ich mich erst gewöhnen musste. Die norwegische Stadt Evje noch an diesem Tag erreichen zu wollen, schien mir von daher nicht sinnvoll. Es war bereits später Abend und mein gestresster Körper verlangte nach einer Eingewöhnung und allmählichen Anpassung an das Auf und Ab dieser bergigen, wunderschönen Welt Norwegens. So fand ich auf etwa halber Strecke eine Unterkunft in einer Privatpension, die ich wegen des Ambiente mit „etwas schräg“ bezeichnen möchte. Die Hausherrin, mit Weinfalsche in der Hand, war etwas angetrunken. In ihrem Zustand ließ sich über den Preis für meine Übernachtung gut in meinem Sinne verhandeln. Glücklich, hier meine erste Unterkunft gefunden zu haben, fuhr ich im Geiste meine bisherige Fahrroute noch einmal und machte in meinem gut geführten Tagebuch meine Notizen. Mit den letzten Buchstaben meiner Eintragung fielen auch meine Augen allmählich zu, und ich entledigte mich bereits schlaftrunken meiner Klamotten. Meine verwirrten Träume, die mich in der Nacht verfolgten, kann ich nicht mehr wiedergeben.
Der nächste Tag brachte mir das wunderschöne Setesdal mit seinen zahlreichen Fjorden links und rechts meiner Wege näher. Der besondere Reiz dieser landschaftlichen Schönheit liegt im Wechsel von engen Talpartien mit senkrechten Felswänden und weiträumigen, fast lieblichen Abschnitten. Meine nächste Etappe nach Hovden war für landschaftliche Überraschungen gut, und auch die Wetterverhältnisse sorgten für Abwechslung- wenn auch mal vom Regen völlig durchnässt, nicht unbedingt für eine wünschenswerte. Die nur kalte Dusche im angemieteten Blockhaus für die Nacht mochte ich nun wirklich nicht. Kaltes Wasser hatte ich bei meiner Fahrt genug abbekommen. Es half nicht. Zappelnd und hin und her springend tänzelte ich darunter her.
Wasser begegnet einem in Norwegen in Hülle und Fülle, ob als Regen, Fluß, Bergbach oder atemberaubender Fjord. In Rjukan war es ein rauschender Fluss gegenüber der Jugendherberge, der mich in dieser sanft einschlafen und fest durchschlafen ließ. Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges begann in Rjukan der Kampf um das sogenannte Schwere Wasser. Auf diese besondere Geschichte will ich nicht eingehen. Sie würde den Rahmen meines Berichts sprengen. In der Jugendherberge mit einem vielseitigen Frühstück gut gestärkt, erreichte ich mit leichtem Tritt über einen Teil der größten Hochebene Skandinaviens – die Hardangervidda – den kleinen Ort Uvdal. Die freundliche Wirtin der Jugendherberge überzeugte mich mit ihrer Schilderung über die wechselvolle Nutzung des über 100 Jahre alten Hauses mit teilweise ebenso altem Farbanstrich einiger Räume sowie der bunten Vielfalt der Landschaft mit seiner idyllisch gelegenen Stabkirche so sehr, dass ich zunächst von hier gar nicht mehr weiter reisen wollte. Ich blieb eine Woche in Uvdal und begab mich mit einem unterhaltsamen Lehrer dänischer Herkunft an einem späten Abend mit meiner Kamera auf „Elchjagd“ – leider erfolglos. Elche habe ich bisher nur auf den in diesem Land zahlreichen Warnschildern gesehen.
In Uvdal und Umgebung hätte ich noch weiter mit meiner Kamera die reizvolle Landschaft erkunden und vielleicht doch noch mit einer erfolgreichen „Elchjagd“ beenden können. Aber ich musste weiter, um meinen Reiseplan erfüllen zu können. Am Morgen des 13. 7. verabschiedete ich mich von der netten Hauswirtin sowie dem unterhaltsamen dänischen Gast.Nicht weit von Uvdal entfernt, erreichte ich über den Wintersportort Geilo bei Haugastöl den insbesondere bei Wanderern und Radsportlern bekannten Rallarvagen. Auf zunächst ebenem Weg wurde dieser im Verlauf mit seinen Schottersteinen immer schwieriger zu befahren. Beliebt waren diese Passagen bei Mountainbikern, sie begegneten mir häufig im wilden Galopp über Stock und über Stein rasend. Ich wollte an meinem Rad mit schwerem Gepäck keinen Speichenbruch provozieren. Das Schieben eines Fahrrades kann auch zu einem Erlebnis führen. So konnte ich in Ruhe, mein Rad schiebend, die grandiose Berglandschaft genießen, anstatt mich beim Fahren auf die Geröllstrecke konzentrieren zu müssen. Die Bahnstation Finse ist mit 1022 Meter über Normalnull die höchstgelegene Bahnstation Skandinaviens. Bis hier hatte ich es nun wirklich nicht eilig. Es gab so viel Schönes zu entdecken. Dabei merkte ich noch nicht einmal, dass sich der Tag dem Ende näherte. Kurz entschlossen, entschied ich mich zu einer Bahnfahrt von Finse bis Myrdal, der nächsten Bahnstation. Mein kurzer Entschluss war mit einer Wartezeit von circa vier Stunden auf den Zug der Bergenbahnen verbunden. Die Berge zwingen zur Ruhe und Gelassenheit. Der Zug rollte an. Ich begab mich in eine Stresslage. Mein Gepäck musste ich vom Fahrrad abnehmen und es in einen der vorderen Waggons schieben. Das Gepäck befand sich in etwa der Mitte des Zuges. Die Schaffnerin hatte bereits die Hand zum in Abfahrt-Signals gehoben, schob dann aber, Gott sei Dank, mein Gepäck auf die Plattform in einen der Waggons und ließ mich mit einer Geste der Ruhe irgendwo zwischen Rad und Gepäck einsteigen. Ich hoffte, in Myrdal Gepäck und Rad wieder beisammen bringen zu können, und das gelang mir auch mit der Hilfe eines freundlichen Mitreisenden. Nachdem mir der Bahnhofswirt in Myrdal den Tipp einer Übernachtungsmöglichkeit gegeben hatte, und ich die dann auch in einem unterhalb des Bahnhofs gelegenen B & B – Hauses fand, kehrte ich wieder zu meiner gewohnten Ruhe zurück. Die Wirtin des Hauses stammte aus Deutschland und ist Fotografin von Beruf. Ihre Bergfotos begeisterten mich, und so wollte auch ich mit meiner Kamera die Bergwelt „ins`s rechte Licht rücken.“ Mit dem reichhaltigen und exzellenten Frühstück war ich gut auf meine nächste Etappe von Myrdal bis Fläms eingestellt. Der Rallarvagen führte nun steil bergab, und die letzten Kilometer so steil, dass ich mit beiden angezogenen Bremsen in`s Rutschen kam. Ich stieg auch mal ab, wenn mir der Vorwärtsdrang meines Rades zu heikel wurde und begleitete es auch dann mit im Wechsel Anziehen und Loslassen der Bremsen. Über die letzten asphaltierten Kilometer der Strecke erreichte ich fast mühelos den Ort Fläms, wenn mich auch vorher eine Ziegenherde mitten auf dem Weg zu einem kleinen Umweg zwang.
Fläms mit seinen zahlreichen Touristen ließ mich kurzzeitig vergessen, dass ich mich in einem Land befinde, das nur dünn besiedelt ist. Unterwegs traf ich häufig nur gegen Abend auf Menschen, die wie ich, nach einer Unterkunft Ausschau hielten. Es war Nachmittag und für mich noch zu früh, um mich um eine Übernachtung zu kümmern. Die fand ich später in einer spartanisch ausgestatteten Hütte in Aurland an einem Seitenarm des Sognefjords. Da hatte der liebe Gott aber alle Trümpfe seiner Landschaftsgestaltung auf den Tisch gelegt. Das machte mich andächtig, und ich war gleichzeitig wie berauscht vom Anblick der Berge, die den in der Abendsonne leuchtenden Fjord umsäumen. So blieb ich dann einen Tag länger als geplant, um von hier aus meine Rückreise anzutreten. Schöner kann es ja nicht mehr werden, dachte ich mir.
Ich begab mich viel zu früh am Morgen auf den Weg zurück nach Myrdal. Ich wollte den Zug nach Voss nicht verpassen. Denn ich hatte den beschwerlichen Abstieg noch in Erinnerung und dachte mir, dass es hinauf für mich noch anstrengender werden könnte. Das bestätigte sich nicht. Hinauf kam ich recht gut, wenn auch das Vorderrad beim Schieben über Geröll häufig nach Rechts abrutschte. In Myrdal früh angekommen, musste ich auch diesmal wieder lange auf den Zug warten. Das kannte ich ja bereits schon von meiner Hinfahrt und verbrachte die Wartezeit mit Lesen im Bahnhof. Von hier ging es dann mit der Bahn Richtung Voss. Oft gab die rasante Zugfahrt den Blick auf die grandiose Bergwelt frei. Das war auf der Reise von Fläms nach Myrdal genauso. Nach Voss kehrte am lieblichen Hardangerfjord wieder die große Ruhe in der Natur zurück. Zahlreiche Obstplantagen säumten die Ufer des Hardangerfjords. Frisch gepflückte Morellen wurden am Straßenrand angeboten. Ich gönnte mir den Genuss der belebenden Frucht und genoss auch hier den von der Sonne in ein gleißendes Licht getauchten Hardangerfjord. Gut gelaunt, pedalierte ich locker bis zum Ort Lofthus und fand dort in der Jugendherberge eine gute Unterkunft.
Mit bester Laune und vom reichhaltigen Frühstück gut gestärkt hielt ich weiter meinen Kurs gen Heimat, wenn ich auch das Gefühl hatte, ihr seit meiner Abreise nicht näher gekommen zu sein. Ein gewaltiges Hindernis aus kleinem und größerem Felsgestein, das sich von einer Felswand gelöst hatte, versperrte mir den schmalen Weg, der nach rechts steil zum Hardangerfjord abfiel. Mit Mühe und Not, nicht den Hang hinunter abzustürzen, zerrte ich mein schwer beladenes Fahrrad Block für Block über das Geröllfeld. Zwischendurch musste ich immer wieder eine kurze Erholungspause einlegen. Gott sei Dank hatte ich diese Tortour nach etwa 20 Minuten schadlos überstanden und fühlte mich erleichtert. Wie auf Flügeln getragen setzte ich meine Fahrt fort.
Das nächste Abenteuer ließ jedoch nicht lange auf sich warten, und diesmal kam es für mich knüppeldick. Ich hatte Todesangst. Ich weiß heute, dass es ein Fehler war, mich als Fahrradfahrer durch den etwa sechs Kilometer langen Haukelitunnel, der nach Roerdal führt, zu wagen. Es regnete heftig. Wasserdunst umhüllte die Einfahrt des Bergtunnels, und ich hatte keinen Weg gefunden, der rechts oder links an ihm vorbeiführte. Die Autos, die links an mir vorbeirasten, verursachten in der riesigen Röhre einen Höllenlärm. Hinzu kam das häufige, ohrenbetäubende Hupen der Autofahrer, und mir wurde klar, dass ich hier als Fahrradfahrer nichts zu suchen hatte. So schob ich mein Fahrrad so nah wie möglich an der Felswand entlang, so weit weg von der lebensbedrohlichen Fahrbahn. Endlich, nach mehr als einer Stunde, sah ich Licht am Ende des Tunnels. Ich war erleichtert. An der frischen Luft nahm ich einen tiefen Atemzug und sagte mir, dass ich seit sieben Jahren nicht mehr rauche und gerade in dem Tunnel meine Lungen wieder geschädigt habe. Der Tag war gelaufen, und ich mietete mich kurzerhand in einer mit allem Komfort – Sauna, Boot u. a. nahm ich nicht in Anspruch – ausgestatteten Hütte ein. An diesem Abend machte ich noch nicht mal meine Notizen ins Tagebuch, das ich bis dahin täglich geführt hatte. Die Erlebnisse dieses Tages werde ich ohnehin nie vergessen.
Bei meiner Rückreise legte ich „einen Zahn zu“. Einmal musste ich mich ja von dem wunderbaren Land verabschieden. So fuhr ich dann in gutem Tempo von hier in vier Tagen nach Stabanker, eine quirlige Stadt mit sehenswerten Kontrasten in der Architektur zwischen Alt und Neu. Über mehrere Städte erreichte ich am 24. Juli den Hafen von Kristiansand. Ich möchte nicht unhöflich sein, wenn ich festhalte, dass mich Kristiansand und die vorangegangenen Städte nicht mehr sonderlich interessierten. Das Stadtleben ist mir durch Mönchengladbach und die umliegenden noch größeren Städte vertraut. Ich hatte genug und wollte nach Hause.