Der Ledersattel ist bei Reiseradlern nach wie vor sehr beliebt. Aber ein Ledersattel braucht Pflege. Wieviel? Und was muss man sonst noch beachten? Wir haben Antworten gesucht – und nicht immer übereinstimmende Meinungen gefunden.
In RADtouren 1/17 beraten wir zum Kauf von Ledersätteln und haben Modelle fast aller gängigen Hersteller getestet.
Wie lange muss ein Ledersattel eingefahren werden?
Zwischen 400 und 500 km geben viele Quellen als grobe Richtschnur an. Dann sollte die Satteldecke weich sein und an die Konturen der Gesäßknochen angepasst, Fachleute sprechen von „eingebrochen“. Die Dauer hängt aber auch von der Dicke und Breite der Satteldecke, dem Gewicht des Fahrers und Umwelteinflüssen wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit ab.
Sollte man einen Ledersattel fetten?
Ja! Und zwar unbedingt vor dem ersten Gebrauch und vornehmlich von unten. Als Fett wird Brooks Proofide häufig empfohlen. Man kann das teure Pflegemittel sparsam einsetzen und mit den Fingern unter dem Sattel verteilen. „Die Unterseite des neuen Sattels wird gründlich mit Fett bestrichen, an den schwer zugänglichen Stellen mithilfe einer alten Zahnbürste, die Oberseite bekommt dagegen nur einen Hauch ab, den ich nach ein paar Stunden glanzpoliere“, rät der ledersattelkundige Fahrradsachverständige Rainer Mai, der seine langjährigen Erfahrungen mit dem Ledersattel in einem ausführlichen Beitrag für die Zeitschrift Fahrradzukunft zusammenfasste. Von oben sollte die Satteldecke nur minimal gefettet werden – ist das Fett nicht vollständig eingezogen, klebt es später an der Hose. Das Fett schützt das Leder vor Feuchtigkeit und macht es geschmeidiger, verkürzt also die Einfahrzeit. Deshalb sollte man auch ab und zu nachfetten. Rainer Mai: „Sobald der Sattel unten nicht mehr klebrig ist, wird nachgefettet – ohne Demontage, ich baue nur die Stütze aus, um zu sehen, was ich tue. Das wird dann im Lauf der Zeit noch ein paarmal wiederholt, nach Bedarf und in wachsenden Abständen, zum Beispiel nach 200, 1.000 und 5.000 km.“
Ist Fetten und anschließendes Backen ein guter Tipp?
Nein, denn das Erhitzen und das flüssige Fett beschleunigen den Alterungsprozess. Ein so behandelter Sattel wird nicht so lange halten wie ein „normal“ eingefahrener.
Darf ein Ledersattel nass werden?
Nicht zu nass. Einen gelegentlichen Schauer kann ein Ledersattel durchaus vertragen. Dabei sollte er im Regelfall von oben bedeckt sein und von unten sollten Schutzbleche Spritzwasser abhalten. Ohne Schutzbleche durchweicht das aufsprühende Spritzwasser den Sattel von unten. Dadurch hängt die Satteldecke schnell durch und kann rissig werden, wenn sie wieder trocknet. Im Stand empfiehlt sich das Überziehen eines Sattelschutzes. Das kann auch ein Plastiktüte sein.
Muss man Ledersättel nachspannen?
Hier gehen die Meinungen stark auseinander. Brooks empfiehlt, im ersten Jahr bei vierstelliger Kilometerleistung drei- bis viermal nachzuspannen, jeweils eine halbe Umdrehung. Dann nur noch eine halbe Umdrehung im Folgejahr. Rainer Mai rät ganz vom Nachspannen ab. Das Nachspannen führe zu einem Teufelskreis aus Absenken und Spannen der Satteldecke. Andere Reiseradler pflichten ihm darin bei. Die unter Spannung stehenden Spezialschrauben seien zudem bei Bruch schwer zu ersetzen, weshalb Mai rät, sie als Ersatzteil mitzuführen.
Was muss man bei der Montage beachten?
Die Ausrichtung des Ledersattels richtet sich wie bei anderen Sätteln auch nach ergonomischen Gesichtspunkten. Wenn kein Verstellbereich aufgedruckt ist – wie meist der Fall – kann man die gesamte Länge des Sattelgestells ausnutzen. Einige Modelle wie der Brooks Swallow oder der M-Wave Origin Race haben einen weiteren Verstellbereich, andere wie der Brooks B17 einen geringeren. Mit einer Sattelstütze ohne Kröpfung lässt sich das Sattelgestell eventuell weiter vorne klemmen. Dadurch kann es Stöße besser abfedern.
Was kann man tun, wenn die Niete aus der Satteldecke hervorstehen?
Hat der Sattel Kupferniete, kann man diese mit behutsamen Schlägen mit einem kleinen Hammer wieder an die Form der Satteldecke anpassen. Bei Stahlnieten ist das nicht möglich. Allerdings können Stahlniete durch einzeln erhältliche Stahl-Ersatzniete erneuert werden. Ebenfalls interessant ist der Weg, den Gilles Berthoud geht: Hier ersetzen schön ins Leder abgesenkte Schrauben die herkömmlichen Niete. Dadurch ist sogar die Satteldecke für Laien austauschbar, wenn einmal „durchgesessen“.
Kleine Lederkunde – oder: Was ist an Sattelleder anders?
Der Ledersattel á la Brooks und Co. heißt korrekterweise „Kernledersattel“. Sein Name rührt her von dem Material, aus dem die Sitzfläche gefertigt wird. Kernleder steht für ein pflanzlich gegerbtes Rindsleder mit mindestens 2,5 mm Dicke. Bei Fahrradsätteln von Traditionsherstellern kommt sogar doppelt so dicke Rinderhaut zum Einsatz. „Die Leder für die Satteldecke sind 4,8 bis 5,2 Millimeter dick. Es gibt nur zwei bis drei Gerbereien in Europa, die das anbieten können“, erklärt Dick van de Steeg, vom niederländischen Hersteller Lepper, der seit 1897 Ledersättel produziert. Auch Brooks verwendet ausschließlich solche Leder. „Die Weiden, auf denen die Herden für unser Leder grasen, haben keinen Baumbestand, damit die Häute keine Schäden haben können“, weiß Constantin Bosch, verantwortlich für Brooks beim deutschen Vertrieb RTI-Sports. Für die besonders umweltfreundliche Brooks-Select-Reihe kommt Leder von Bio-Rinderherden an den Sattel. Eine Alternative zu den besonders dicken und dadurch teuren Kernledern ist das Verbinden von zwei dünneren Lagen, das an günstigeren Sätteln häufig zu finden ist.