Stefan Stiener bezieht sich in der Werbung für seine Marke Velotraum auf ein Bonmot von Martin Walser: „Nichts ist ohne sein Gegenteil wahr“ und beschreibt damit die Einstellung von Velotraum zum Sinn und Unsinn von Scheibenbremsen am Reiserad. Da lag es für uns nahe, Stefan nach seiner Einschätzung zum Thema zu fragen. Hier seine ausführliche Antwort.
Die Frage nach der »besten« Fahrradbremse lässt sich zumindest im physikalischen Sinne einfach beantworten: Es ist die Scheibenbremse. Allerdings greift diese Fragestellung (unserer Erfahrung nach) etwas zu kurz. Insbesondere beim Trekkingrad mit seinen völlig unterschiedlichen Einsatzbereichen und Nutzern, sollte die Frage lauten: »welches ist die beste Fahrradbremse für mich«.
Warum die Frage nach dem »für wen und wozu« so wichtig ist, wird verständlicher, wenn man die Wesensmerkmale einer Scheibenbremse etwas genauer betrachtet. Denn, da wo es viel Licht gibt – also höchste Bremsleistung unter nahezu allen Bedingungen – da gibt es auch (etwas) Schatten.
Während die Felgenbremse sich mit dem Fahrrad und seinen Rahmenbedingungen entwickelt hat – quasi systemkonform ist, stammt die Scheibenbremse aus dem motorisierten Fahrzeugbau, der völlig andere Rahmenbedingungen bietet. Während z.B. bei Felgenbremsen im Millimeter-Bereich gearbeitet wird, sind es bei der Scheibenbremse allenfalls Zehntel-Millimeter. Die Scheibenbremse benötigt für eine perfekte Funktion also wesentlich kleinere Toleranzen und präzisere Passungen, insbesondere beim »Übergang « vom Laufrad zum Rahmen. Beim MTB setzen sich daher immer mehr hochspezialisierte Steckachsen-Systeme durch, die fürs Trekkingrad im Moment völlig ungeeignet wären. Und bei keinem anderen Fahrrad müssen auf kleinstem Raum Hinterradnabe, Bremszange, Parkstütze sowie die Befestigung von Schutzblechen und Gepäckträger untergebracht werden. Kurzum, beim Trekkingrad mit Scheibenbremse treffen zwei Technolgiewelten aufeinander, deren Zusammenwirken nur dann zufriedenstellend gelingt bzw. als gelungen empfunden wird, wenn man die Rahmenbedingungen dieser beiden Welten kennt und berücksichtigt.
Scheibenbremse ist empfindliche Hochtechnologie
Im Vergleich zur »Steinzeit-Technik« einer V-Brake, ist eine Scheibenbremse echte Hochtechnologie. Es liegt daher auf der Hand, dass eine solche Technik naturgemäß empfindlicher auf die »Unbilden« reagiert, die der normale Fahrradgebrauch im Alltag oder auf Reisen mit sich bringen kann. Mechanische Beschädigung der Bremsscheibe durch Transport in Bus, Bahn und Flugzeug oder auch Fahrradständer (!), können eine Scheibenbremse komplett außer Kraft setzen. Wer den Winter einfach durchfährt und darauf vertraut, dass die Bremse »wartungsfrei« sei, kann ebenfalls eine böse Überraschung in Form von festgehenden Kolben erleben. Aber auch der Umgang mit Kettenspray- und -öl sowie anderen Pflegemittel hat seine Tücken, denn die Bremsbeläge saugen begierig alles auf, was ölig und fettig ist. Danach bleibt nur noch der kostspielige Tausch der Beläge, denn ein verunreinigter Bremsbelag reduziert die Bremsleistung spürbar. Deutlich anspruchsvoller ist auch der Laufrad-Ein- und -Ausbau und verlangt mehr Umsicht und Sorgfalt als bei einem Fahrrad mit Felgenbremsen. Und eine nicht perfekt entlüftete Scheibenbremse kann nach liegendem oder hängendem Bahn- oder Flugtransport völlig versagen und muss neu entlüftet werden. Fernreisende sollten zudem bedenken, dass Scheibenbremsen inzwischen zwar sehr zuverlässig sind, aber eine undichte Bremszange, ein festgefressener Bremskolben oder ein beschädigter Bremshebel unterwegs nicht – auch nicht behelfsmäßig – zu reparieren sind.
Die individuell richtige Bremsenwahl sollte also immer ein sehr persönlicher und fachmännisch begleiteter Prozess sein, bei dem es gilt, die Vor- und Nachteile der verschiedenen Bremssysteme für sich sorgfältig abzuwägen. Denn auch die beste Bremsleistung wird einen auf Dauer nicht glücklich machen, wenn man mit der Handhabung der Technik latent überfordert ist.
Allerdings ist der richtige Umgang mit der Scheibenbremsen erlernbar, zumindest für interessierte Fahrradlaien. Insbesondere Ganzjahresfahrer, die auch Dauerregen und Schnee trotzen, oder Radreisende, die in entsprechenden Regionen unterwegs sind, kommen eigentlich schwer an der Scheibenbremse vorbei. Mit ein wenig Begabung, Interesse, Umsicht und Übung lassen sich die angesprochenen Probleme auf ein überschaubares Minimum reduzieren.