Mr. Zuverlässig auf dem Vormarsch – Getriebenaben erleben aktuell eine Renaissance. Von acht- bis demnächst achtzehngang, von großen Sprüngen bis stufenlos reicht das Spektrum. Wer braucht welches Produkt aus dem vielgängigen Nabenmenü und was leisten die einzelnen Typen? Unsere Kaufberatung klärt auf.
Die Zeiten, in denen Nabenschaltungen mit Nostalgiebikes und Hollandrädern gleichgesetzt wurden, sind lange vorbei. Eine Art Inititialzündung lieferte die 14-Gang-Rohloff Speedhub. Sie brachte seit dem Debut 1998 selbst Extremsportler von der Kettenschaltung ab und wurde zum Objekt der Begierde vieler ambitionierter Alltags- und Reiseradler. Bei Begierde blieb es angesichts des Anschaffungspreises für Viele wohl. Die neuen Großserienprodukte Shimano Alfine 11 und Nuvinci stoßen dagegen auch preislich in interessante Regionen für weniger ambitionierte Tourenfahrer, Pendler und E-Biker vor.
Was macht eine Nabenschaltung überhaupt interessant? Außerhalb von Wettfahrten, wo Eigengewicht und Wirkungsgrad das Maß der Dinge sind, drängen sich ihre Vorzüge förmlich auf.
Vorteil 1: Nicht klein zu kriegen. Durch die wasser- und vor allem staubdichte Verkapselung ist der Verschleiß minimal, die Wartungsintervalle lang (ca. 5.000 Kilometer). Kettenschaltungen dagegen bedürfen regelmäßiger Pflege, bei Regen und Schnee sogar nach jeder Fahrt. In der Praxis meist mangelnde Kettenpflege bedingt einen Kettentausch circa alle 2.000 Kilometer.
Vorteil 2: Schalten im Stand möglich. Vor allem beim Anfahren mit Gepäck oder an der Ampel ein Vorteil.
Vorteil 3: Einfache Schaltlogik. Alle Gänge lassen sich mit einer Hand schalten. Eine Richtung leichter treten, andere Richtung schwerer Treten – so simpel.
Vorteil 4: Robustheit. Bei nabengerechter Rahmenkonstruktion mit verschiebbaren bzw. waagerechten Ausfallenden oder Exzentertretlager steht nichts vom Rad ab, das hängenbleiben oder beim Umfallen verbiegen kann.
Vorteil 5: Stabilere Hinterräder. Nur ein Ritzel und eine deutlich breitere, verschleißärmere Kette müssen am Hinterrad Platz finden gegenüber bis zu elf grazilen Ritzeln bei der Kettenschaltung, wo die Speichen deshalb auf der Antriebsseite fast senkrecht zur Nabenachse verlaufen. Das mindert die Stabilität des gesamten
Für das Gros der Tourenradler ist die Übersetzungsbandbreite das Hauptkriterium bei der Wahl ihrer Schalteinheit, also die Differenz der Übersetzung zwischen dem kleinsten und dem größten Gang an. Wer bergauf mit Reisegepäck locker kurbeln, aber bergab noch Druck aufs Pedal bringen will, braucht mindestens 500 Prozent. Dabei zählen ausschließlich die Eigenschaften in der Nabe. Kettenblatt und Ritzel können den Schaltbereich zwar verschieben, aber niemals verbreitern. Senkt man die erwähnte externe oder Primärübersetzung, wird der kleinste Gang noch kleiner, der größte aber ebenfalls. Dieses Spiel lässt sich technisch nicht unendlich weiter treiben. Denn beim Radfahren walten rohe Kräfte. Unser durchschnittlicher Tourenfahrer erzeugt etwa am Tretlager mehr Drehmoment als ein aktueller 2,0 Liter Dieselmotor. Dass die leichten Radgetriebe damit zurechtkommen, ist schon eine ingenieurtechnische Leistung.Und noch ein Plus hat die Kombination aus externer oder Primärübersetzung, so nennt man die Kombination von einem Kettenblatt auf das einzelne Ritzel der Schaltnabe und den vielen Abstufungen in der Schaltnabe selbst: Die Linie der Kette ist stets gerade und erzielt so den optimalen Wirkungsgrad. Wirkungsgrad meint den Anteil der Trittkraft, die nach Übertragung (Kette) und Übersetzung (Getriebe) am Hinterrad ankommt. Denn ein Teil geht durch Reibung innerhalb der Kettenglieder und zwischen Kette und Zahnrädern verloren.
Bandbreite im Vergleich
Wie schnell fährt man im kleinsten Gang bei 50 U/min? Die Antwort liefert die Grafik. Dabei gehen wir von einem 28-Zoll-Rad aus mit der kleinsten erlaubten Primärübersetzung, also das kleinstmögliche Kettenblatt mit dem größtmöglichen Ritzel. Mit den Naben von Shimano, SRAM und NuVinci sind es etwa sechs km/h. Das entspricht flottem Gehen! Rohloff geht runter bis vier km/h, das erfordert schon Steuerkünste. Wann der größte Gang bei gleicher Primärübersetzung ausgereizt ist, zeigt die km/h-Angabe rechts. Gut zu sehen: Die sportlich ausgerichtete Alfine 11-Gang kann zwar schnell, jedoch ist der kleinst mögliche Gang zu „dick“ für volles Gepäck im Hochgebirge. In unserem Test wählten die Hersteller zudem selten die kleinstmögliche Übersetzung, was die „Bergtauglichkeit“ weiter mindert.
Je kleiner die Differenz zweier Gänge nebeneinander, desto weniger muss der Fahrer seine Trittfrequenz dem Rad anpassen. Pinion und Rohloff verteilen ihre Gänge besonders fahrerfreundlich mit Sprüngen von 11,5 bzw. 13,6 % über das gesamte Gangspektrum. Wer nicht sportlich orientiert ist, empfindet diese Sprünge oftmals schon als zu gering. Rennradfahrer, die kleine Sprünge gewohnt sind, fühlen sich mit den 11 Prozent der Pinion am wohlsten. Ganz ohne „Sprünge“ kommt die NuVinci-Nabe aus. Mit etwas Fingerspitzengefühl kann der Fahrer tatsächlich ohne Trittfrequenzänderung stufenlos beschleunigen.
Fazit
Fast jedes der Getriebe besetzt seine velocipede Nische. Je nach Einsatzgebiet und Budget verbleiben höchstens zwei Alternativen. Maßstab für den Allround-Einsatz ist derzeit die Rohloff Speedhub, bleibt aber – bis zum Serienstart der p1 von Pionion – auch die Referenz für offroad und Touren mit großem Gepäck. Wer Wert auf sportliche Gangart legt, aber nicht mit Gepäck über die Berge will, ist mit der neuen Alfine 11-Gang sehr gut beraten, die vor allem bei Schaltkomfort- und geschwindigkeit besonders hervorsticht. Wer überwiegend im Flachen, in der Stadt unterwegs ist, oder mit Gepäck an Hügeln auch mal schiebt, ist mit den bewährten Acht- respektive Neungang-Modellen bestens bedient.
Text: Timo Dillenberger | Fotos: Hersteller